„Die Hölle“ von Stefan Ruzowitzky: der Beweis, dass gute Thriller auch in Österreich entstehen können?

Kultur & Events
Zulla Ahmetovic / 13.02.2017
(c) lunafilm

Er kann Horror. Er kann Doku. Er kann KZ-Drama. Er kann Kinderfilm. Er hat einen Oskar. Er scheißt auf Marketing. Hauptsache, er hat Spaß und eine Herausforderung. Ihm ist der Lerneffekt der jeweiligen Filme, die er macht, wichtig, sagt er bei dem Werkstattgespräch zu seinem neuesten Film „Die Hölle“ im Votivkino, Mitte Jänner.

 

2008 bekommt er für seinen Film, „Die Fälscher“, einen Oscar. Der Spielfilm handelt von einem Geldfälschungsprogramm, das von NationalsozialistInnen während des Zweiten Weltkriegs ins Leben gerufen wurde, und ist der erste Beitrag aus Österreich, der je einen Oscar erhalten hat. Doch anstatt sich von seinem Erfolg in eine Schublade stecken zu lassen und mit seinen Filmen auf der Oscar-Schiene zu bleiben, macht er das Unfassbare: er dreht einen Kinderfilm im deutschsprachigen Raum. Der Film trägt den Namen „Hexe Lilli – Der Drache und das magische Buch“. Ganz hat er Amerika aber doch nicht den Rücken gekehrt: drei Jahre nach Hexe Lilli dreht er dort seinen Film „Cold Blood“. 2015 starten in England die Dreharbeiten zu seinem Film „Patient Zero“ mit Natalie Dormer. Bei seinen Regie-Erfahrungen im Ausland hat er nämlich eines gelernt: der Marktwert von SchauspielerInnen entscheidet über die Finanzierung eins Films. Vor allem in Amerika. Im deutschsprachigen Bereich findet der Finanzierungsprozess nicht in dem Ausmaß statt, doch „Ich weiß was ich kriege, weil ich die Marke Til Schweiger kenne. Egal wie der Film heißt.“, sagt Ruzowitzky während des Werkstattgesprächs im Votivkino.

 

(c) Stefan Ruzowitzky

 

Um Geld für den Film „Die Hölle“ zu bekommen, hat einer der Produzenten des Films, Helmut Grasser, Jahre gebraucht, um Produktionsfirmen davon zu überzeugen, dass Genrekino auch in Österreich funktioniert. Nun geht es darum, auch das Mainstreampublikum davon zu überzeugen, dass gutes Kino auch aus Österreich kommen kann. Die Rolle der Protagonistin Özge bekommt Violetta Schurawlow. Das Management verlangt aber um sie herum große Namen im Cast: also werden Tobias Moretti und Robert Palfrader engagiert.

 

Ruzowitzkys Filme lassen sich in den verschiedensten Genres verorten, jedoch gibt es Themen, die immer wiederkehren wie etwa starke Frauen und Gruppendynamiken. Kommt ein Thema gar nicht vor, „dann interessiert es mich anscheinend nicht.“, sagt er. Was ihn aber durchaus interessiert ist, authentische Filme zu machen und mit den verschiedensten Zielgruppen durch seine Filme zu kommunizieren. Er dreht Filme für das Publikum: „Das hat nichts mit Kompromisse eingehen zu tun (wie ihm von einem Kritiker vorgeworfen wurde), sondern mit Kommunikation.“, so Ruzowitzky.

 

Ein authentischer Film ist dem Regisseur Stefan Ruzowitzky mit „Die Hölle“ durchaus gelungen, mit einer kreativen Kameraführung, die Wien zu einem perfekten Schauplatz für einen spannenden Thriller macht. Die Kommunikation mit dem Publikum passiert durch eine starke Protagonistin, die es nicht nötig hat sich als

Feministin zu labeln und einen Antagonisten, der ein durchschaubarer Narzisst ist. Beide sind sie wortkarg, doch den konzentrierten SchauspielerInnen gelingt es all die Emotionen ihrer Charaktere, die hinter ihrem Schweigen brennen, auf der Leinwand zum Ausdruck zu bringen.

 

Besonders hervorzuheben ist Violetta Schurawlows Leistung als Özge. Sie ist in Usbekistan geboren und hat die ersten fünf Jahre ihres Lebens dort verbracht, bevor sie mit ihren Eltern nach Deutschland gekommen ist. Daher ist ihre Verkörperung von Özge, deren Familie aus der Türkei kommt, durchaus authentisch, weil sie weiß was es heißt, in einem Land zu „denen“ mit Migrationshintergrund zu gehören und wie Rassismus den Alltag bestimmen kann. Vor allem weiß sie sicher, wie das Leben als Frau und Migrantin ist, wo zu rassistischen Übergriffen, auch (Alltags)Sexismus hinzukommen kann.

Die Rolle der Özge einer Schauspielerin zu geben, die keinerlei Migrationsgeschichte hat, aber irgendwie aussieht wie eine Türkin, wäre ein großer Fehler gewesen. Dieser Fehler ist bei einer anderen Rolle passiert: Der Bosnier Samir gespielt von Robert Palfrader. Keineswegs deswegen, weil Robert Palfrader nicht ehrliche Arbeit in seine Rolle gesteckt hätte, aber wenn schon ein Film gemacht wird, um die Vielfalt der MigrantInnen-Community zu zeigen, warum dann nicht gleich mit SchauspielerInnen, die Teil dieser Community sind. Ist ja nicht so als würde es sie nicht geben. Wobei diese Kritik sich nicht direkt an Stefan Ruzowitzky richtet, der ursprünglich mit unbekannten Menschen arbeiten wollte, sondern an das „Management“, das auf seine großen österreichischen Namen nicht hat verzichten können.

 

Eine weitere Unstimmigkeit in dem Film ist ein gewisser Satz. Özge, der Hauptcharakter in „Die Hölle“, ist so eine von den starken Frauen, die Ruzowitzky spannend findet. Sie weiß ganz genau, dass sie in einer sexistischen Welt lebt, sie begegnet ihm als „weiblich“ sozialisierte Person täglich, vor allem in ihrer Tätigkeit als Taxifahrerin. Doch sie macht sich nichts aus Diskussionen. Sie redet nicht viel. Im Film wirkt sie die meiste Zeit über emotional taub. Macht ihrem Ärger keine Luft, zumindest nicht mit Worten. Sie spricht lieber mit ihren Fäusten und Tritten. Als Thaiboxerin kennt sie sich mit diesen sehr gut aus. Sie rechtfertigt sich nicht: weder als sie beim Boxen einem Macho den Kiefer bricht, noch als sie von ihrer Familie dafür kritisiert wird, den mittlerweile vom Alter körperlich verkümmerten und dementen Vater, der sie als Kind auch noch sexuell missbraucht hat, nie zu besuchen. Doch als sie darauf kommt, dass der Serienmörder des Films bei seinen Taten womöglich nach seiner persönlichen Auslegung einer Stelle im Koran handelt, erklärt sie dem Wiener Kommissar Christian Steiner, gespielt von Tobias Moretti, der mit seiner Performance dem Film eine lustige Seite verleiht, folgendes: „Ein Muslim würde so etwas niemals tun.“ – Warum diese Rechtfertigung? Filme, in denen SerienmörderInnen ihre Taten mit der Bibel zu rechtfertigen versuchen, kommen doch auch ganz gut ohne solche Sätze aus, oder?! Zu Ruzowitzkys Verteidigung: Der Satz gefällt ihm selbst nicht.

 

Nichtsdestotrotz: Stefan Ruzowitzky hat bewiesen: Österreich kann Thriller. Österreich kann Genrekino. Und Österreich kann gutes Kino! Für zukünftige Produktionen, die hoffentlich folgen, gilt es mehr Mut zu zeigen: bei der Besetzung des Films, wie auch beim Drehbuch.

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Jugendportal.at wurde zuletzt am 17.04.2024 bearbeitet.

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