„Ah, du bist Lehrerin, du hast immer frei“, oder doch nicht?

Engagement
Anonym / 07.09.2016
Verkehrszeichen Schulzone

An Österreichs Schulen unterrichten insgesamt 125.632 Lehrerinnen und Lehrer. Doch was motiviert sie? Was treibt sie an? Was sind positive oder negative Aspekte in diesem Beruf? Warum haben sie sich für diesen doch anstrengenden Beruf entschieden? Solche Fragen habe ich Frau Mag.a Viktoria Sandberger-Kindlinger, einer Lehrerin aus Oberösterreich gestellt, die an einer Berufsbildenden Höheren Schule ebenso Geschichte und Politische Bildung wie Französisch unterrichtet. Sie lieferte mir interessante und umfangreiche Antworten und begegnete mir sehr freundlich. Bereits während des Gesprächs stellte ich fest, dass sie zu jenen begeisterten Lehrer*innen zählt, die es sich zum Ziel gemacht haben, den Schüler*innen etwas auf ihrem Weg mitzugeben.

 

Warum haben Sie diesen Beruf gewählt?

Frau Sandberger-Kindlinger: Dieser Beruf ermöglicht es mir, zwei Dinge, die mir am Herzen liegen gut zu vereinbaren. Ich habe die Chance mit jungen Menschen zu arbeiten und kann mich gleichzeitig mit meiner Leidenschaft für Geschichte und Französisch befassen. Es ist schön, junge Menschen zu begleiten, Interessen zu wecken und Talente zu fördern. Ich kann zur Weiterentwicklung vielfältiger Persönlichkeiten beitragen, das ist mein Erfolgserlebnis bei diesem Beruf. Das motiviert mich und ich weiß, warum ich Lehrerin bin. Vor allem, wenn mir die Schülerinnen und Schüler am Ende ihrer Schulzeit sagen „Geschichte hat uns nie gefallen, aber bei Ihnen hat es mir großen Spaß gemacht.“ Da merke ich, dass meine Arbeit sinnvoll ist.

 

Was finden Sie gut an Ihrem Beruf?

Frau Sandberger-Kindlinger: Durch den Kontakt mit jungen Menschen bleibt man auf dem Laufenden. Man weiß, was jüngere Generationen bewegt. Doch insbesondere die Freiräume und die Selbstständigkeit, die mir der Lehrberuf bietet, schätze ich sehr. Die Unterrichtsgestaltung liegt in meiner Hand. Zudem habe ich - abgesehen vom fixen Stundenplan - eine relativ freie Zeiteinteilung: Ich kann selbst entscheiden, wann ich arbeite, ob am Nachmittag, Abend oder am Wochenende. So lässt sich dieser Job sehr gut mit Familie und Kindern vereinbaren. Der Lehrberuf bringt allerdings auch einen Nachteil mit sich, denn man ist nicht immer flexibel: auf Urlaub kann ich nur in den Schulferien, also in der Hauptsaison fahren.

 

Welche Nachteile sehen Sie im Lehrberuf?

Frau Sandberger-Kindlinger: Es ist ein sehr anstrengender und fordernder Job, weil man ständig konzentriert sein muss und ich finde, dass oft eine extreme Reizüberflutung stattfindet. Wenn man zum Beispiel einen ganzen Vormittag lang unterrichtet, hat man kaum Verschnaufpausen. Man muss in den 5-Minuten-Pausen von einer Klasse zur nächsten und dazwischen brauchen auch immer Schüler*innen etwas von mir. Nachteilig ist für mich auch, dass sich nicht alles ins Positive entwickelt. Die Reformen und die Entwicklung der Bildungspolitik sind nicht immer motivierend. Hinzu kommt noch das schlechte Image der Lehrer*innen.

 

Wie gehen Sie mit dem schlechten Image um und wie äußert es sich konkret?

Frau Sandberger-Kindlinger: Naja, es kommt schon häufig vor, dass mir die Leute mit „ah du bist Lehrerin, du hast immer frei“, begegnen. Man muss sich ständig für die Ferien rechtfertigen. Selbstverständlich sind viele Aussagen scherzhaft gemeint, aber jeder Scherz beinhaltet auch ein Körnchen Wahrheit. Natürlich nehme ich mir dies nicht sehr zu Herzen, aber es ist ein Nachteil. Es ist nicht motivierend ständig in den Medien gegeißelt zu werden, denn die Medien haben einen Großteil dieses Images zu verantworten.

 

Warum hat ein*e Lehrer*in viel Arbeit?

Frau Sandberger-Kindlinger: Eine Lehrkraft steht nicht nur 20 Stunden in der Klasse, sondern hat ganz viele andere Tätigkeiten zu verrichten. Neben dem eigentlichen Unterricht stehen Unterrichtsvorbereitungen, Erstellen und Korrekturen von Schularbeiten und Hausübungen, Planen von Lehrausgängen sowie Exkursionen und so weiter am Programm. Vor allem die Vorbereitungen für die Matura nehmen sehr viel Zeit in Anspruch. Es gibt aber auch Tätigkeiten, über die außenstehende Personen oft wenig Bescheid wissen. Das wären zum Beispiel die Mitgliedschaft in einer Schulentwicklungsgruppe, PR-Team, Schulbücher organisieren und koordinieren, Beratungsgespräche, Elternabende und und und.

 

Was wollten Sie schon immer loswerden?

Frau Sandberger-Kindlinger: Hier fallen mir viele Dinge ein, die der Philosoph Konrad Paul Liessmann in seinem Buch „Geisterstunde“ beschreibt. Mein Eindruck ist, dass die Belastung der Schüler*innen sehr hoch ist, aber zugleich die Anforderungen sinken. Dass Bildung zu stark ökonomisiert ist und vor allem die allgemeinbildenden Fächer durch die neue Matura zurückgedrängt werden. Dass Leute den Lernstoff, der nicht unmittelbar angewendet werden kann und der nicht wichtig für die Wirtschaft ist, nicht wertschätzen. Man nimmt nicht zur Kenntnis, dass es Bildungsinhalte gibt, die maßgeblich zur Persönlichkeitsbildung beitragen können, was aber wesentlich ist. Außerdem sehe ich mich als Lehrerin und nicht als Coach entgegen der modernen Tendenzen Lehrer*innen zunehmend zu Coaches zu degradieren. Mit Coach ist gemeint, dass sich der*die Lehrer*in hauptsächlich im Hintergrund halten soll und die Schüler*innen größtenteils selbst den Stoff erarbeiten. Die Lehrkraft ist nicht länger für die Wissensvermittlung zuständig, sondern Lernbegleiter*in. Natürlich sollen die Schüler*innen eigenständig arbeiten können und offenen Lernphasen Platz eingeräumt werden. Dies soll aber kein zu großes Ausmaß annehmen, denn dadurch schreibt man Schüler*innen Aufgaben zu, die sie möglicherweise überfordern können. Und macht es nicht mich aus als Lehrkraft, fundierte Wissensinhalte mit dem nötigen Hintergrundwissen vermitteln zu können? Außerdem entsteht sehr viel Lehrerfolg durch ein positives Lehrer*in-Schüler*in-Verhältnis.

 

Was können Sie als Lehrkraft anders machen als ein*e Schüler*in?

Frau Sandberger-Kindlinger: Ich glaube, wenn ich in Geschichte etwas spannend und leidenschaftlich erzähle und beschreibe, kann es mir am besten gelingen auch Schülerinnen und Schüler mit meiner Leidenschaft zu begeistern. Ich möchte die Schüler*innen durch Fragen zum eigenständigen Denken und Hinterfragen anregen und Inhalte durch Beispiele veranschaulichen. Wenn die Schüler*innen sich etwas selbst erarbeiten und es sich anschließend gegenseitig erklären…(schüttelt den Kopf)…denken Sie, dass Schüler*innen genauso gut erklären können wie Lehrpersonal? Den Schüler*innen fehlt das nötige Hintergrundwissen in Geschichte, das ich habe, weil ich dieses Fach studiert habe. Es macht den*die Lehrer*in aus, etwas mit Begeisterung zu vermitteln, die Schüler*innen mit den eigenen Leidenschaften anzustecken. Dies geht verloren, wenn die Lehrkraft komplett in den Hintergrund gedrängt wird.

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Jugendportal.at wurde zuletzt am 17.04.2024 bearbeitet.

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