Alt und vergesslich werde ich erst im nächsten Leben

Engagement
Anna Lena Bramreiter / 21.09.2017
Jugendliche und Dementkranke

In einer Zeit, in der jeder jung aussehen und bleiben möchte und auf keinen Fall „alt“ werden will, vergessen wir Jungen oft, dass auch wir älter werden. Auch unsere Haare werden grauer, unsere Augen matter und der Geist vergesslicher.

Schauplatzwechsel: Ein modernes, weißes Haus, davor eine befahrene Straße, nicht die ruhigste Gegend der Kleinstadt Graz. Geht man doch in den Hinterhof und biegt rechts ab, eröffnet sich einem eine stille, angenehme Atmosphäre. Mit einem Lächeln öffnet Yvonne Lukas, Leiterin des Demenz-Tageszentrums ELISA, die Türe. Wir gehen in einen Raum mit rosa Wänden und bequemen Couchsesseln, den sie als „Biographieraum“ bezeichnet und beginnt zu erzählen.

In einer wie zuvor beschriebenen Zeit, gibt es aber auch Aktionen, die den Kontakt von Jung und Alt arrangieren. Eine davon ist Points4Action in Graz. Dieses Projekt wurde 2006 von Cornel Gmeiner ins Leben gerufen. Es bietet Mädchen und Buben im Alter von 13 bis 19 Jahren und den Menschen in Grazer Senioreneinrichtungen die Möglichkeit in Kontakt zu kommen. Für eine Stunde „Action“, gibt es einen „Point“. Die Punkte können Jugendliche für Verschiedenes einlösen: Im Kino, bei einer Pizzeria oder sie können sich Gutscheine von Grazer Geschäften erarbeiten.

Fünf Buben und ein Mädchen sind gerade ehrenamtlich im Demenzzentrum ELISA tätig, so Frau Lukas. Alle haben einen Migrationshintergrund: „Ich weiß leider auch nicht, warum dieses Angebot von österreichischen Jugendlichen nicht angenommen wird.“  Auf die Frage, wie die Menschen hier auf die dunkle Hautfarbe der Jugendlichen reagieren muss Frau Lukas lachen: „Demente Menschen haben teilweise keinen sozialen Filter mehr, sie wissen nicht mehr was angebracht ist und was nicht, da ist dem Einen oder Anderen schon einmal ein „Du bist aber ein dunkles Negerlein“ entwischt.“ Im Großen und Ganzen geht der Ablauf mit den Jugendlichen in dem Demenz-Tageszentrum aber reibungslos über die Bühne.

 

Gedeckter Tisch

 

Die Krankheit Demenz verläuft in drei Stadien. Zu Beginn bemerken die Betroffenen, dass sie immer mehr Wörter vergessen, die wir im Alltag verwenden. Das zweite Stadium zeichnet sich durch Erinnerungslücken aus. In vielen Fällen wissen die Kranken nicht mehr, ob sie geheiratet oder Kinder haben. Sie verlernen auch Sachen, die sie immer gekonnt haben wie z.B. das Kochen. Im letzten und dritten Stadium sind die Betroffenen absolute Pflegefälle. Die Krankheit gilt als unheilbar.

In ELISA werden Kranke vom ersten Stadium bis sie nicht mehr mobil sind betreut. Bei Demenz muss die Pflege sehr individuell auf den einzelnen Menschen eingestimmt sein, im optimalen Fall kann man die einzelnen Stadien der Krankheit verzögern. Für dies gibt es im Demenzzentrum am Vormittag eine von vielen „Aktivierungen“, in denen die BesucherInnen, wie sie liebevoll von den MitarbeiterInnen genannt werden, ihre Sinne trainieren. Unter anderem der Tastsinn, in dem man beschreibt was man beim Berühren des Gegenstandes, den man nicht sieht, spürt:

„Können Sie mir sagen, wie der Gegenstand sich anfühlt?“

„Kühl!“

„Jo, kühl mog i a mei Bier!“

„Wollen wir den Gegenstand ansehen?“

„Ah, eine kleine Vase ist das. Da waren Sie mit „kühl“ ganz dicht dran. Was kann man da reintun?“

„I wär‘ dafür, dass ma ein Schnapserl reintun!"

 

Im ELISA hat man den Eindruck, dass die Demenz eine völlig unbeschwerte Krankheit ist und dass die Betroffenen kindlicher sind, als andere SeniorInnen, aber mehr auch nicht. Sie lachen miteinander und scheinen Spaß zu haben. Aber die Krankheit ist unberechenbar, so Yvonne Lukas. Vor allem, wenn die Betroffenen aus ihrer gewohnten Umgebung und aus ihrem gewohnte Umfeld herausgerissen werden, kann dies enorme Folgen haben. Denn oftmals verschlimmert sich dadurch die Krankheit.

„Frau Meier, können Sie den Lindwurm bitte aufsagen?“

„Was soll ich?!“

„Mir bitte den Lindwurm aufsagen, das können Sie doch so gut!“

„Ah jo, DA LINDWURM“

Und den Lindwurm kennt Frau Meier seit ihrer Kindheit und wird ihn wohl nie vergessen. Vergessen tut sie hingegen den Namen ihrer Kinder, ihres Ehemanns und ihren Geburtstag letztes Jahr.

 

Speisekarte

 

Sie essen, sie trinken, sie lachen, sie wirken wie kleine Kinder in alten Körpern, die die Welt neu für sich entdecken. Sie fühlen etwas Weiches und sagen, es sei hart. Sie müssen jeden Tag aufs Neue lernen wie unsere Welt funktioniert. Sie müssen sich immer wieder in Erinnerung rufen was eine „Lampe“ oder ein „Tisch“ ist.

Dass Jugendliche durch Points4Action mit alten Menschen in Kontakt treten ist etwas sehr Wertvolles, aus dem sie viel mitnehmen können. Etwas, was ihnen keine Schule beibringen kann: Den Umgang mit alten Menschen. Im Fall von ELISA mit dementen alten Menschen. Beim Verlassen der kleinen Tagesstätte zieht man die Tür hinter sich zu und atmet tief durch: Es ist schön, so viel Herz- und Menschlichkeit an einem Ort zu spüren, Freude zu sehen und beim Weggehen ein Lachen aus dem Haus zu hören.

 

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Points4Action

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