„Klein, groß, widerständig“ - Ben Dagan über Identität und Israel

Youth Reporter in Israel
Lizanne Daniel / 09.01.2018
Störer: 
Ben Dagan

Ben Dagan ist Politikwissenschafter und Sicherheitsexperte. Für das Projekt "Building Bridges - Österreich_Israel" hat er Youth Reporterin Lizanne Daniel ein Interview zu Identität, Israel und Sicherheit gegeben.

 

Ihr erstes Gefühl, Ihr erster Gedanke beim Wort „Israel“?

Gefühle und Gedanken zu Israel ergeben sich für mich immer aus dem Kontext. Wenn ich Israel auf einer Flasche Pinot Noir lese, wäre mein erster Gedanke, dass ich jetzt ein gutes Glas bekomme - ein super Gefühl. 

Wenn supermotivierte Politleute (unabhängig von ihrer Haltung zu Israel) das Wort erwähnen, denke ich mir “anschnallen” - das heißt, dass ich ganz genau hinhöre und versuche zu verstehen, was mir die Personen sagen möchten. Dann bin ich hochkonzentriert - das macht Spaß, ist aber auch anstrengend.

 

Welche Rolle spielt das Land Israel in Ihrem Leben?

Ich versuche die Frage mal anders zu beantworten. Selbst wenn ich nicht wollen würde, dass Israel irgendeine Rolle in meinem Leben spielt, käme ich nicht darum herum, dass Menschen es eine Rolle in meinem Leben spielen lassen. Ein Beispiel: Ich habe eine Zeit lang “Tirol” als Antwort auf die Frage nach meiner Herkunft gegeben, um zu sehen, ob das einfach so angenommen wird. Es wird fast immer noch weiter gefragt. Wenn ich Israel antworte, darf ich mich mit Reaktionen konfrontieren lassen, die wenig mit mir zu tun haben.

Auf der anderen Seite verbringe ich sehr gerne Zeit in Israel. Das Land und seine Gesellschaft sind der Kontext, in dem sich ein Teil meines Lebens abspielt.

 

Wie beeinflussen Entwicklungen und Ereignisse in Israel Ihr Leben in Österreich?

Prinzipiell beeinflussen mich die Ereignisse insofern, als dass Menschen auf mich zukommen und viel zu oft mit mir darüber sprechen möchten. Das ist manchmal interessant, manchmal aber auch anstrengend. Lächerlich wird es nur, wenn ich persönlich mit militärischen Konflikten, der Start Up Szene oder Hummus identifiziert werde. Das nervt.

 

Gab es jemals eine Zeit in Ihrem Leben, der Sie den Titel „Identitätskonflikt“ geben würden?

Ich glaube, Identitätskonflikte waren nie der Titel in irgendeinem Lebensabschnitt, sondern sind eher ein running gag - sie verändern ihre Wirkung je öfter sie sich wiederholen. Identitäten sind nichts Starres und zu versuchen, sie zu zementieren ist meiner Meinung nach die falsche Herangehensweise. Mit Ambivalenzen zu leben ist nicht einfach, ganz im Gegenteil - aber dabei entwickelt man Persönlichkeit. Deshalb finde ich die Frage “Wer bist du” auch wesentlich interessanter als “Was bist du”. 

 

Was würden Sie Ihrem jüngeren Ich aus heutiger Sicht raten?

Dass man nicht auf jede Frage eine Antwort haben muss, egal wie oft oder von wem man danach gefragt wird.

 

In Ihrem Leben spielt der Sicherheitsbegriff eine zentrale Rolle. Wie kam es dazu?

Ich glaube, bei mir geht es hauptsächlich um Unsicherheit. Mich haben Konflikte und Politik immer interessiert. Natürlich hat meine persönliche Nähe zu Israel dabei auch eine Rolle gespielt. Je öfter ich mit Ereignissen wie Selbstmordanschlägen, Raketenangriffen und dergleichen konfrontiert wurde, desto mehr wollte ich wissen, weshalb Menschen das machen. Aus dieser Motivation wurde dann eine nachhaltige Beschäftigung mit dem Thema.

 

Wie schätzen Sie als Sicherheitsexperte die Situation in Israel ein?

Ich glaube nicht, dass es eine Situation in Israel gibt: Es gibt sehr viele unterschiedliche Situationen mit sehr unterschiedlichen Akteuren, weshalb ich die Frage so nicht beantworten kann.

Irgendwie ist es doch so wie mit der Frage “Wie geht’s dir?”: Während in der Familie alles prächtig läuft, haben Sie vielleicht einen Schnupfen und gleichzeitig beschäftigt Sie ein herausforderndes Projekt im Job. Je nachdem, worauf Sie Ihre Antwort fokussieren und was Ihnen in diesem Moment einfällt, wird sie anders ausfallen.

Aber lassen Sie mich ein Beispiel geben: Vor weniger als 50 Jahren führte Israel noch Krieg gegen Ägypten und Jordanien. Heute kooperieren alle drei Staaten, um verschiedenen gemeinsamen Herausforderungen zusammen zu begegnen. Das ist doch mal positiv.

Auf der anderen Seite sehen wir Hezbollah, die durch die Kämpfe in Syrien mit wesentlich mehr Kampferfahrung und besser ausgestattet Israel gegenübersteht. Diese Konfrontation hat großes Potenzial weiter zu eskalieren. Nicht so toll.

Wir könnten diese Liste nun weiter abhandeln - es zeigt aber eines: Es ist erstaunlich, wie viele Fronten ein so kleines Land haben kann und wie sich diese entwickeln, kann man, wie überall, nie mit Gewissheit vorhersagen.

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(c) Dr. Milagros Martínez-Flener

Wenn Sie aus Österreich und Israel das ideale Land kreieren würden, wie sähe es aus?

Ich glaube nicht, dass es ideale Länder geben kann. Eine Gesellschaft, in der man ohne Angst anders sein kann, würde mir schon reichen.

 

Was ist Identität für Sie? Besteht die Herausforderung darin, die eigene Identität als angeborene Tatsache zu akzeptieren oder muss Identität gefunden, entwickelt, vielleicht sogar erlernt werden?

Identität ist eine gesellschaftliche Realität. Die Herausforderung besteht einfach nur darin, mit dieser Realität umzugehen. Ich würde zur Disposition stellen, ob man Identität überhaupt affirmieren muss. Ich stelle mir lieber die Frage, inwiefern ich ein Individuum sein kann in einer Gesellschaft, in der Identitäten eine recht große Rolle spielen.

 

Welche drei Worte würden Sie abschließend wählen, um Israel zu beschreiben?

Klein, groß, widerständig 

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Jugendportal.at wurde zuletzt am 23.04.2024 bearbeitet.

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