Meine Wette: Niemand schafft es folgenden Satz einzuhalten:
Lesen Sie diesen Satz nicht.
Ich bitte zu Tisch.
Zum Alphabetisch.
Und dann sitzen dort gierige Mäuler.
26 an der Zahl
und mir bleibt die Wahl
von A-Z.
Aber entscheiden will
und kann ich nicht.
Denn einer allein hat wenig Aussagekraft
und gemeinsam schafft
man aus Strichen Buchstaben,
aus Buchstaben Wörter.
Aus Wörtern Sätze
und aus Sätzen einen Sinn.
Ich bin
hin- und hergerissen
zwischen Zeitungen, Karten, Büchern, Blogs
Wein und Lippen.
Denn lesen kann man so viel.
Es ist ein Spiel-
ein Gedankenkarussell,
manchmal dreht es sich langsam
und manchmal schnell.
Aber eigentlich -
eigentlich ist es wie ein Zug.
Ich steige ein in die Welt der Zeichen
und stelle die Weichen,
um aus meiner auszusteigen.
Ich geselle mich dem Reigen
und feiere ein Fest,
den Rest,
feiere mich,
weil ich lesen kann.
Und dann
werde ich eintauchen, vertiefen, überfliegen,
abdriften, schmökern, verschlingen,
lernen, entziffern,
und dabei nur eines tun:
nämlich lesen.
Die Thesen
auf meiner Fahrt im Zug -
kein Betrug -
ich sammle Information, Impression, Bilder, Buchstabenlandschaft, Worte.
Ich bereise Orte,
ohne Koffer zu packen,
ich füttere Nagetiere,
die Leseratten
und hab mein eigenes Kino im Kopf.
Der Eintritt ist frei.
Ich zähle nicht nur bis drei, sondern bis 26.
Und die machen zum eigenen Wohle einen Buchstabensalat.
Mit über 75.000 Wörtern als Resultat.
Zur Unterhaltung, Gedankenverwaltung, Interaktion, Kommunikation, Bildung, Ausdruck, Sprachenspiel.
Mit großem Stil und kleinem Aufwand,
gib mir die Hand,
wir springen auf den Zug auf.
Und weil ich lesen kann,
bin ich selbst die Lokführerin,
bin kritische Konsumentin,
und Dirigentin der Buchstabenlieder.
Ich gebe wieder, was jemand anders geschrieben
und nach Belieben
schreibe ich selbst.
Weil ich lesen kann,
bin ich unabhängige Reisende,
Daraufhinweisende, dass Bücher Reichtümer sind,
dass jedes Kind solch Juwelen jagen soll
und auch als Erwachsener ist die Schatztruhe noch lange nicht voll.
Wer lesen kann, wird selbstständig sein.
Wer lesen kann, der hat es fein.
Wer lesen kann, kann nicht nicht lesen.
Das ist das Wesen, der Zauber, das Geschenk.
Denk selbst für dich,
für andere,
für alle.
Schnalle dich im Zug nicht an,
nicht fest.
Denn lesen lässt
genug Platz und Raum
und es droht kaum
Gefahr des Entgleisens.
Aber des Vereinens.
Von Buchstabe und Buchstabe.
Von Sprach und Wort.
Von Ort und Ort.
Von Mensch und Mensch.
Ich bitte zu Tisch.
Zum Alphabetisch.
Ich habe Stühle daran gestellt,
so lasst sie nicht leer.
Lesen ist mehr.