Männer, die auf Hashtags starren

Leben
Mona Harfmann / 02.01.2018
metoo

Plötzlich sind wir alle wieder politisch aktiv geworden. Wir posten, schreiben und mischen in der öffentlichen Debatte mit. Hier vollzieht sich gerade eine große Veränderung, die noch nicht so ganz weiß, dass sie das tut und wohin sie will. Patriarchale Restbestände zertrümmern, die Hollywood-Maschinerie neu definieren oder einfach nur aufregen? Nach wochenlangen, nicht immer objektiven und juristisch zu befürwortenden Schlagabtäuschen eine hoffentlich unaufgeregte Momentaufnahme.

„Früher ging man in eine Bar, hat ein hübsches Mädchen gesehen, sie angesprochen und sich dann mit ihr betrunken. Heute ist die Reihenfolge umgekehrt und man betrinkt sich zuerst – weil man so unsicher ist und sich nicht auskennt.“

Diese interessante Aussage wurde mir neulich von einem wehmütig in der Vergangenheit schwelgenden Bekannten in Hinblick auf die kontroverse #MeToo-Debatte unterbreitet. Ich möchte das einmal ganz neutral so stehenlassen und versuchen, so wertefrei wie möglich darauf einzugehen. Weil ich selten erlebt habe, dass ein öffentlicher Diskurs medial so emotional besprochen wurde und jedes unvorsichtig gewählte Wort so selbstständig Position zu beziehen scheint: denn man steht ja entweder auf der Seite der Männer oder der Seite der Frauen, beides geht nicht. 

Und bei all dem Krach um fragwürdige Twitter-Posts und politischen Streitgesprächen tun sich hierbei scheinbar immer mehr Fragen auf, die meiner Meinung nach viel zu wenig thematisiert werden – oder auch einfach nicht gehört werden.

 

Woher kommt sie, diese Verwirrung?

Man(n) ist also verwirrt – verwirrter als früher. Wovon diese Verwirrung ausgelöst wird, scheint dem Bekannten klar, und er gibt mir sogleich einen Tipp: Wir Mädels sollten uns beim Ausgehen weniger aufbrezeln und weniger Lippenstift tragen, weil: „Wenn ihr euch so schminkt, wozu macht ihr das denn sonst?“ Dieser Satz wird sogleich entkräftet, dem Opfer solle damit natürlich keine Verantwortung für Übergriffe zugesprochen werden; aber die Frage nach dem Sinn hinter dem Lippenstift bleibt.
Vielleicht ist es lächerlich, dass ich mich daran so aufhänge, an diesem Lippenstift. Aber ich halte es für durchaus wichtig, das einmal klarzustellen: Dass nicht alles, was frau so tut, aufgrund der Umwerbung des anderen Geschlechts geschieht. Es mag heuchlerisch klingen, aber das hat tatsächlich viel mit Selbstwert zu tun. Denn der wird nun einmal auch dann gesteigert, wenn man das Gefühl vermittelt bekommt, er werde von anderen ebenfalls gesehen – nicht nur, aber auch. Wenn sich Frauen also an den aufgrund ihres Frau-Seins zur Verfügung stehenden Mittel bedienen, um einen Vorteil besonders zu betonen oder einen vermeintlichen Makel zu kaschieren, dann geschieht das zu einem großen Teil für sie selbst.

In der Unterhaltung, die mit einem doch eigentlich ziemlich nebensächlichen Schminkutensil begann, wurde nie berücksichtigt, dass Selbstwert und das Gefühl, von seiner Umwelt als ebenso wertvoll wahrgenommen zu werden, einander nicht ausschließen, sondern in Wechselwirkung zu einander stehen. Natürlich wollen wir gut ankommen – genauso, wie Männer gut ankommen wollen, auch untereinander, so, wie jeder das nun einmal will. 

 

Die Sache mit den Komplimenten...

Das nächste Mal, wenn mich jemand fragt ob man Frauen überhaupt noch Komplimente machen dürfe, werde ich innerlich bis zehn zählen und dann freundlich lächelnd auf diesen Artikel verweisen. Wer so eine Frage stellt, muss nämlich allgemein sehr verwirrt sein was das tägliche Konversieren angeht und stellt keine reflektierte und angebrachte Frage, sondern verkauft sich unter seinem Wert. Natürlich darf man noch Komplimente machen, sofern Inhalt und Umgebung angebracht sind! Wenn man davon ausgeht, dass ein Kompliment den Zweck hat, die andere Person auf etwas Lobenswertes an sich hinzuweisen und ihr damit eine Freude zu machen, ist es doch ganz einfach. Könnte das vermeintliche Kompliment beim Gegenüber für Unbehagen sorgen und zielt nicht darauf ab, ihr oder ihm eine Freude zu machen, dann ist die Sinnhaftigkeit dahinter wohl generell zu hinterfragen, oder?

 

„Ein Mann hat meinen Ellbogen berührt, Hashtag #MeToo?“

Schon klar: man muss hier differenzieren. Viele kritisieren, dass in der gesamten Debatte um #MeToo pauschalisiert wird: Frauen, denen im Büroflur ein zweideutiges Kompliment gemacht wurde, gesellen sich neben Opfer sexueller Übergriffe. Ja, es stimmt, dass es sich hierbei um unterschiedliche Dinge handelt, die man nicht in einen Topf werfen darf – aber in diesem Diskurs soll auf eine sehr vielschichtige, in ihrem Kern jedoch übereinstimmende Ungerechtigkeit aufmerksam gemacht werden, und das geschieht nun einmal durch eine politische Öffentlichkeit. Hier geht es nicht darum, sexuelle Übergriffe von Stufe 1 bis 10 zu klassifizieren, sondern bereits lange überfälliges Hinterfragen von Normen und Werten anzuregen.

Der oder die Bürger*in von heute bastelt keine Plakate mehr, sondern setzt einen Hashtag – und somit wird die MeToo-Debatte zu einer wortbetonten Debatte vieler unterschiedlicher Erzählungen, die alle darin münden, etwas ändern zu wollen.

 

Wenn Unschuldsvermutungen nicht gelten

Die Zeiten haben sich geändert, das wurde bereits zu Beginn dieses Artikels in einem etwas anderen Kontext festgestellt. Die Art der Berichterstattung vor allem, das kommt in Hinblick auf soziale Medien sehr stark zum Vorschein. Bevor juristische Urteile gefällt werden, hat sowohl Redaktion als auch Leserschaft öffentlich ihr Urteil gefällt. Das finden viele Leute nicht in Ordnung – in Bezug auf Fälle wie Kevin Spacey, dessen Karriere nach Belästigungs-Vorwürfen nun vor dem Ende steht. 

Aber vielleicht geht es hier eben nicht darum, wie hoch die Strafe gemäß Paragraph soundso aussieht, wer wem wie viel Schadenersatz zahlen muss – sondern um eine Grundhaltung. Wird Kevin Spacey also aus Filmen hinausgeschnitten, so stimmt es, dass er als einer unter vielen an den Pranger gestellt wurde, obwohl auf rechtlicher Basis immer noch die Unschuldsvermutung gilt. Aufgrund der zahlreichen Opfer-Berichte hat sich die Öffentlichkeit nun aber eben ihre eigene Meinung gebildet, und ihre eigenen Sanktionen. Einflussreiche Menschen wie Ridley Scott wissen genau, was sie dabei tun – sie setzen ein Statement und verdeutlichen eine Grundeinstellung in einem Gewerbe, das sich sonst nur an Profit orientiert und in dem so ein Verhalten nicht üblich ist.

 

Und zum Schluss noch etwas, das ich nicht verstehe

Plötzlich werden alle politisch aktiv – auf die Art und Weise, wie man das heute eben tut: indem man sich selbst medial zu etwas bekennt, in einer hitzigen Unterhaltung eine mutige Gegenposition bezieht oder am Frühstückstisch kritisch einen Zeitungsartikel bespricht. Das mag passiv wirken, kann aber dennoch eine ungeheure diskursive Wirkung entfalten, wenn viele es tun. Auch Worte üben Druck auf Regierungen aus, auch das macht Demokratie aus, und deshalb sollten wir uns über die positiven, aber auch negativen Auswirkungen einer schnell getätigten und womöglich unreflektierten Aussage immer wieder aufs Neue bewusst werden.

Ich kann das einfach nicht nachvollziehen – wenn man hier genervt in allem eine radikale Feminismus-Bekehrung deutet, die darauf abzielt, das andere Geschlecht zu maßregeln und zu verunglimpfen. Darum geht es doch wirklich nicht. Es geht um eine gesellschaftlich essentielle Grundhaltung, und zwar: Wie verhalte ich mich richtig? Das ist keine Frage von Trends oder Likes oder einem durch einen Hashtag begründeten Hype, das sollte doch zeitlos sein und im Sinne jedes vernünftig denkenden Menschen. Niemand büßt etwas an Macht ein, wenn er respektvoll mit einer Frau umgeht, im Gegenteil.

Wer denkt, sich auf eine Seite stellen zu müssen, verliert dadurch das Ziel aus den Augen, und das ist jenes: dafür zu sorgen, dass wir einander mit Wertschätzung behandeln und mit Respekt. Eindeutig Position beziehen zu dem, was richtig ist und was falsch. Sicherstellen dass Frauen, Freundinnen, Mütter und Schwestern, so wie Männer angemessen behandelt werden – und einen Weg hierbei finden, der tatsächlich auch das Ziel ist.

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Jugendportal.at wurde zuletzt am 17.04.2024 bearbeitet.

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